Bücher und Landkarten aus der Mitte Deutschlands
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Heidi und Annekathrin Rockstuhl
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146 Seiten, Festeinband mit 25 Fotos und 3 Zeichnungen.
Inhalt:
Einleitung 6
Ollendorf und die Zeiten 9
Zur Waidwirtschaft 13
Hohe Straße 15
Niedergang der Hohen Straße 17
Faktum „Landflucht“ 18
Unser Zuzug 22
Bilder meiner kleinen Welt 23
Unverstandene Bilder 26
Die gute Stube 27
Die Küche 29
Hausflur und Keller 35
Die Kammer 37
Haarschneiden, Schmutzern, Taubenbraten 38 Ausfahrten 42
In Krautheim 43
In Roldisleben 45
In Großrudestedt 46
Probleme 47
Mit Kalb’s Bus 50
Unsere Straße 55
Nachbarn 56
Muskochen 57
Händler, Stelzenläufer und Anderes 61
Schicken 62
Fastnacht 62
Dreschen 63
Die Zigeuner 64
Der Kindermantel 65
An- und Ausbau 66
Die „Stromer“ 68
Die neuen Schlafkammern 70
Tante Rotjo 71
Hof und Garten 72
Meine Spielecke 73
Und nicht nur die Spielecke 75
Feste und Feiern 77
Weihnacht 77
Ostern 81
Kirmes 81 Erntedankfest und 1. Mai 83
Die Werkstatt 84
Unser Feld 87
Beim Schützenhaus 87
Kartoffelhacken und der Zeppellin 89
Die Strohfuhre 89
Hochsteins Mühle 91
Backtag, Backhaus 93
Mein Lederkoppel 95
Schlachten, Federschleißen, Marktverkauf 96
„Visite“ und Besuche 99
Wiener Torte und Schokolade 100
Das Hochzeitsbild 103
Fußball, Spinnstube, Landfilm 104
Marianne 106
Das Radio 111
Volksschule 112
Sütterlinschrift, Schiefertafel und -kasten 116
Mandel-OP im Weimarer Sophienkrankenhaus 119
Bruchlandung beim Dorf 121
Niedergang des Geschäfts 122
Bau des Fliegerhorstes Nohra 124
Eine Rauferei 126
Arbeit im Fritz Sauckelwerk Weimar 128 Unser Wegzug 129
Noch Kontakte nach Ollendorf 130
Wiedersehen bzw. Erfahrungen nach langer Zeit 133
Nachsatz 144
Fußnoten 145
Einleitung:
Einleitung
Legenden zu Fotos sollten aufgeschrieben werden, bevor die Erinnerung verblasst. Schrift gibt sie unbegrenzt weiter, aber sie braucht heute wie einst: Zeit, Muse, Ausdrucksfähigkeit und natürlich interessierte Leser. Je leichter und in jeder Menge sich heute fotografieren oder filmen lässt, umso mehr ist in unserer schnell lebigen Zeit das Gedächtnis beansprucht. Es hat mehr mitzunehmen, beginnt das erste Bild u. U. doch schon beim Neu- oder Ungeborenen, wenn ich die Ultraschallbilder mit einbeziehe. Wieviel geht also vom Bild ohne Textstütze dem Gedächtnis verloren, meist vom Schönsten des Lebens. Fotoalben, Dias oder Filme überraschen immer wieder mit fast vergessenen Erlebnissen. Man weiß von ihnen kaum noch mehr, als das bloße Bild verrät. Wie wenig erst könnten interessierte Nachgeborene mit solchem Material anfangen.
Mein erstes und einziges Bild aus der Ollendorfer Zeit, zeigt mich mit meiner Zuckertüte in der Nähe des Ollendorfer Schulgebäudes. Was bliebe mir, hätte ich außer den wenigen Fotos nicht noch so viele Gedächtnisbilder bzw. Erinnerungen aus dieser schönen Zeit?
Genanntes Foto von mir und die wenigen von Mutter und Vater ergäben nicht einmal ein Album. Und wenn? Meine Kindheit erstände darin wohl nicht so, wie sie in mir nachklingt, eben in Bildern eigenster Wahrnehmung.
Mit meinem Vorhaben entspreche ich meinen eingangs gegebenen Rat. Gewichtigere Anstöße konnten einst Goethe und Werner von Siemens angeben, die ich als Beispiele unter vielen anderen bringe. Ihnen wurde angetragen, über ihr Leben zu schreiben. Die Bekanntheit ihrer Namen durch außergewöhnliche Lebensleistungen forderte das geradezu heraus. Bei Goethes Werken, als gut Teil literarischer Weltkultur, interessierten die Anregungen verschiedener Lebensstationen auf sein dichterisches Wirken. Er begann mit Erinnerungen an seine Kindheit, Jugend, sein Elternhaus, über das lebendige Frankfurt usw. bis zu seinem Aufbruch nach Weimar. Auch seine Erinnerungen an bedeutende Personen, die ihn auf seinen Lebensstationen begegneten, bezog er ein. Es sind weitere wertvolle Zeitzeugnisse als vierbändiges Werk „Dichtung und Wahrheit“, dass er 1829 begann und im Jahr vor seinem Tode abschloss (gest. 22. März 1832).
Werner von Siemens dagegen (geb. 6. Dez. 1892), begab sich nach eigenen Worten mit seiner Lebensgeschichte, betitelt: „Mein Leben“ in ein ihm nicht sehr geläufiges Metier. Nun, mir ergeht es ähnlich. Doch jede Kindheit, jede Jugend ist eine schöne Einmaligkeit, gibt an sich Grund, sie festzuhalten, ob ihr dann große Lebensleistungen folgen oder nicht.
Kindheit, mit ihren Naivitäten, Leichtsinn, ihrer Neugier auch, lässt sich ohne viel Bedenken offen legen. Fern genug ist sie ohnedies. Nahe zu verklärt also, erstehen Eltern, Verwandte, Spielgefährten, Nachbarn und ein wenig Lokalcolorit noch einmal auf. Ich denke, es wäre gut, käme das auch an die Nachfahren, da sie durchaus etwas finden könnten, worin sich in gewissen Zügen ihr eigenes Ich und ihre eigene Zeit findet. Die Veränderungen legen ja die Spur zu ihnen und ihrer Welt, eine mit veränderten Prämissen, im Grunde doch immer dieselbe aber nicht die gleiche. Was diese Veränderungen betrifft lässt sich sagen: „ein jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte was seine eigene Bildung und seine Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein“ (Goethezitat). Zehn Jahre sind wenig, aber Generationensprünge?
Mit der Flüchtigkeit der Zeit wird besonders das Alter konfrontiert, da es zum Rückblick neigt. Es geht ihm wie einen Wanderer, der sich nach einem langen Weg kurz vorm Ziel noch einmal umwendet. Aber er hat eine Menge an Gedächtnisbildern, wenn viele auch schon verschwommen und andere völlig entfallen sind. Die Bild für Bildschau (slide-show) im Kopf braucht Zeit und Lücken werden bleiben, wenn auch noch Bilder aus den Tiefen der Erinnerung nach kleckern. Was soll da auch alles auferstehen: Kindheit, Jugend mit Schul-, Lehr- und Studentenzeit, Arbeits- und Familienleben in Friedens- und bzw. oder Kriegszeiten, soweit wahrgenommen auch Politisches, Geschichtliches, Kulturelles, auch was an wissenschaftlich-technischem Fortschritt im Leben interessiert hat. Alles mit einer riesigen Menge von Inhalten, deren gedankliche Ordnung und Verarbeitung erst einmal geleistet werden muss, wobei sich am Ende durch Hinter- oder Erfragen noch einst entgangene oder auch bis dato völlig unbekannte Bilder eröffnen.
Die Frage „Wo ist die Zeit hin“, hat etwas gemein mit der Frage: „Wo ist das Geld hin“, die jeweiligen Antworten auch. In Bezug auf Zeit ist es die Menge der Bilder, die man passieren lässt, bei einer leeren Geldbörse oder Haushaltskasse, sind es die Ausgaben.
Gab man nur für notwendigen Lebensbedarf oder auch für „bleibenden“ materiellen Besitz aus. Um letzteren katzbalgen sich vielleicht die Erben? Vielleicht steckte man in Bildung und Erbauung oder auch in Reisen? Das kann Reichtum an inneren Werten (Wissen, Moral, Ethik) sein, um sie anderen mitzuteilen. Aus der Reihe der Humanisten wähle ich J. W. von Goethe und aus jener der Erfinder Werner von Siemens. Ersterer diente mit seinem an Bildungs- und Humanwert noch heute und in ferner Zukunft unbezweifelbaren, weltweit verbreiteten Schriftbänden. Zweiterem verdankte man zumindest die Erfindung der ersten Dynamomaschine (1866), die Guttapercha-Isolierung (1874) und die Gründungen einschlägiger Fabriken, die seinen Namen tragen oder mittragen. So stellte eines dieser Werke der Welt die erste elektrische Bahn vor, den ersten elektrischen Aufzug und ein anderes Werk die moderne Kabelverseilmaschine. Was ihr Lebenswerk betrifft, lässt sich sagen, was Gott schon am fünften Tages der Erschaffung der Welt sagte: „Und siehe da, es war sehr gut“.
Der Hauptmann von Köpenick in spe hätte auf Gottes Frage: „Was hast du gemacht in deinem Leben?“ leider die Antwort: „Fußmatten, nur Fußmatten“ geben können. Falstaff, hätte auf seinen Bierbauch verweisen müssen und manche auf ihr Fett und die kostenreichen Bemühungen, es los zu werden. Vielleicht sollte gefragt werden: „Was hast du erlebt die vielen Jahre?“
Da kann ich von meinen mir Lieben und Teuren, meinen Erinnerungen reden. Sie begannen, als noch die Sense rauschend durch die Halme schnitt, Ochse oder Pferd noch die Erntewagen der Einzelbauern zogen. Mähbinder und Zugmaschine hatte gewiss noch kein Ollendorfer Bauer, auch keiner in den Dörfern meiner Verwandtschaft. Je mehr des Einst sich da heute noch vergegenwärtigen lässt, umso besser beantworte ich mir die Frage, wo die Zeit hin ist.
Riesig sind die Unterschiede zum Heute und selbst in der Gegenwart klaffen sie. Da hat zum Beispiel das Alter, hinsichtlich mancher Anschauung der Gegenwart, des Zeitgeschmacks, der Sitte und Lebensweise Bedenken, während der Jugend allles nur recht und billig ist. Sie kennt es nicht anders, kann also alles nur aus ihrer momentanen Perspektive sehen und beurteilen. Ältere sehen auch aus dem Blickpunkten früherer Erfahrung, wenn sie nicht vergesslich sind, also aus mehreren Perspektiven, nicht platt und eindimensional. Begründet sich das Jetzige dem bedenkenden Alter immer, da es Gewohntes und Bewährtes nicht einfach wegwirft? Es gleicht wohl Bauern alten Schrot und Korns. Sie fühlten sich im Hergebrachten sicher, ein wohl schon vergehender, aber begründeter Grundzug seines Wesens.